Ausländer, Heimatvertriebene, Emigrant, Asylant

29 April 2016 in .... herz,Jugenderinnerungen

Geschichte fand ich schon immer toll. Grund dafür war auch mein Geschichtslehrer, der so ungemein interessant und ‚boeiend‘ erzählen konnte, dass die Geschichte Wirklichkeit wurde. Da war Caesar nicht öde, Napoleon wuchs zu einem Imperator, der einfach auch mal Pech hatte und dann auf Elba landete und die Elefanten von Hannibal sahen wir vor unseren Augen die Alpen überqueren. Der Mann hatte eine Gabe. Vielleicht fand ich Geschichte sowie interessant. Neben der Schullektüre las ich Bücher von Golo und Thomas Mann, Joachim C.Fest, James Michener und viele andere. Interessant fand ich zum einen ‚große‘ Persönlichkeiten, Herrscher und Königshäuser und auch einfach Zeitepochen, wie zum Beispiel Französische Revolution, Biedermeier und Jugendstil.
Dieses Interesse ist mir beigeblieben. Ich freue mich, wenn in meinem Bücherclub geschichtsträchtiger Bücher gelesen werden. Unser letztes Buch war das von Laura Starink ‚Duitse Wortels‘ mit Untertitel ‚mijn familie, de oorlog en Silezië‘. Ich habe es nicht gewählt und ich hätte es wahrscheinlich auch nicht gewählt. Beim Lesen wurde mir schwer ums Herz. Ich las nicht die Familiengeschichte von Laura Starink sondern die meiner Mutter. Aufgewachsen in Dortmund als Kind eines Steigers, in der Jugend umgezogen (warum, keine Ahnung?) nach Thorn, geflüchtet vor den Russen und in der Nähe von Bremen gelandet und geblieben. Eine schöne unbefangene Kindheit auf dem Lande in Pommern, die abrupt ein Ende bekam als die Flucht eingesetzt wurde. Die Ängste, das Bangen vor dem Neuen und dem Unbekannten, der Status als Flüchtling aus dem Osten/Polen, von niemandem gewollt, ausgeschimpft (Pollack), trotzdem aufgestanden, gekämpft um eine Bleibe und letztendlich erfolgreich geworden. So wie ihr verging es Vielen. Darüber gesprochen hat keiner. Was wir heute fröhlich erzählen ‚weißt du noch….? Das gab es bei uns zu Hause nicht. Ich kann mich ganz vage an einen Moment erinnern, wo meine Mutter erzählt hat. Über die Flucht, Danzig, zugefrorene Flüsse, Hausrat zurücklassen, das geliebte Akkordeon, den Bruder, der in Gefangenschaft saß, und vor allem Angst. Und danach wurde das Buch geschlossen. Verarbeitet?!? Hat sie das? Wahrscheinlich nicht. Geprägt hat es sie, mich und meine Tochter. Und es kommt ans Tageslicht, ich fühle es, wenn ich Bücher wie dieses lese. Eigentlich mehr eine Aufzeichnung, eine Dokumentation wo Gefühl keine Rolle hat. Was ich so gar nicht verstehen kann. Und wie wichtig ist dann die Frage: “habt ihr es nicht gewusst?”
Das ist die Geschichte meiner Mutter.
Die meines Vaters gestaltet sich ganz anders. Auch hier wieder das Thema des Flüchtlings. Dieses Mal, die seiner Urgroßmutter, die als Halbadelige aus Prag nach München geflüchtet ist. Wieso? Warum? Weshalb? Keine Ahnung. Die nackten Fakten finde ich zum Teil in der Familienkronik. Der Rest wurde verschwiegen. Sicherlich vor uns als Kinder. Die Familienkronik geschrieben in Sütterlin war auch nicht einfach zu entziffern. Danke den Bekannten, die mir beim Übersetzen geholfen haben.
Und so reiht sich meine Familiengeschichte über Danzig, Thorn, Dortmund, Essen, Prag, Osnabrück, Utrechtse Heuvelrug wie eine Perlenkette mit vielen ‚Leerstücken‘.
Was bleibt, ist mein Wunsch, Vorort die Sphären zu fühlen. Prag ist mein erster Bahnhof.

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